„Mir gibt die digitale Fotografie nichts”

Subhash: Hallo Bruno, stell dich bitte kurz vor und beschreibe uns, was Fotografie für dich bedeutet.

Bruno: Hallo, mein Name ist Bruno Linher, mein Lomography-Nickname ist „Knipserich”, und ich bin 1977 in Wien geboren. Meine Berufsbezeichnung ist Künstler, da ich neben der Fotografie und der Lomografie noch (selten) male und zeichne.

Ich fotografiere seit meinem einundzwanzigsten Lebensjahr, das heißt, dass ich noch in der analogen Zeit angefangen habe zu fotografieren, damals auf Diapositivfilm. Wir haben damals ab und zu Diaabende gemacht mit Musik und Getränken, das war immer sehr stimmungsvoll. Ich habe dann etwas den Draht zur Fotografie verloren, weil ich sehr viel gemalt habe, jedoch habe ich 2015 wieder ernsthaft begonnen zu fotografieren, diesmal exklusiv auf Schwarzweiß-Film. Und das mache ich bis heute, wobei ich 2020 begonnen habe mehr Zeit in die Fotografie zu stecken.

Eine Fotografie von Bruno Linher

© Bruno Linher, 2020

Heutzutage fotografieren viele, viele Leute viele, viele Bilder, jeden Tag. Warum also sollte man sich selbst auch noch die Mühe machen? Was bewirken selbst gemachte Fotografien für einen selbst?

Heutzutage fotografieren viele Leute, das stimmt, hauptsächlich mit Smartphones, weniger davon mit digitalen Kameras und noch weniger mit analogen Kameras. Ich habe den analogen Weg gewählt. Er bereitet zwar die meiste Mühe, ist aber meiner Meinung nach die „echteste” Art Fotografie zu erleben. Selbst gemachte Fotografien bedeuten für mich ein Stück Handwerk in den Händen zu halten, beziehungsweise auf dem Bildschirm zu sehen.

Hast du schon vor der Aufnahme das fertige Bild mehr oder weniger im Kopf („prävisualisierst” du also), oder lässt du dich von deinen Motiven finden und versuchst „nur”, dich dafür offen und aufmerksam zu halten?

Ich mache beides, ich gehe mit einer bestimmten Vorstellung an ein Motiv heran, versuche aber immer auch offen und aufmerksam für die Details zu bleiben, die ein Motiv zu bieten hat. Dabei werde ich von grob immer feiner, das heißt, dass ich zum Beispiel ein Gebäude zuerst in seiner Gesamtheit fotografiere und dann ins Detail gehe und zum Beispiel einzelne Fenster, Blumen, Bewuchs etc. fotografiere.

Eine Fotografie von Bruno Linher

© Bruno Linher, 2020

Du malst und zeichnest ja auch (oder hast es zumindest früher getan). Was ist der für dich wesentliche Unterschied beim Fotografieren?

Ich zeichne und male anfallsartig unregelmäßig, aber doch, und der wesentliche Unterschied zum Fotografieren ist, dass ich beim Malen/Zeichnen aus dem Nichts Neues erschaffe, wogegen ich beim Fotografieren aus etwas Vorgegebenem Neues erschaffe, beziehungsweise auf meine Art darstelle.

Ich sehe diesen Unterschied nicht so recht: In beiden Fällen wird Material verwendet um etwas darzustellen, Tusche, Farben, lichtempfindliche Medien … Und in beiden Fällen bestimmt mein Inneres was entsteht. Siehst du das nicht so?

Du hast recht, in beiden Fällen bestimmt mein Inneres, was entsteht. Beim Fotografieren jedoch wird das Motiv zum Werkzeug, wobei bei der Malerei kein fertiges Motiv vorhanden ist. Es muss erst erfunden werden. Beim Fotografieren hat man sozusagen mehr Grundausrüstung.

Bedeutet Fotografie immer etwas, verweist sie immer auf etwas anderes (nämlich das Motiv)? Oder kann sie auch für sich selbst stehen (wie Musik vielleicht)?

Fotografie kann auch nichts bedeuten und rein für sich selbst stehen, wie zum Beispiel meine neue Serie „Experimental, or something went wrong”.

Eine Fotografie von Bruno Linher

© Bruno Linher, 2020

Was würdest du einem Menschen raten, der von seinen eigenen Fotografien gelangweilt ist, die anderer Leute aber bewundert?

Kaufe dir eine Lochkamera (oder bau’ dir eine selber), verwende Schwarzweiß-Film, und entwickle und scanne selbst. Da wird dir nie langweilig … Wenn du Vorbilder hast, die du bewunderst, versuche herauszufinden wie die Fotografin, der Fotograf beleuchtet, welche Tiefenschärfe sie, er anwendet, einfach alles, was sich aus einem Foto herauslesen lässt, und versuche dann das Erlernte auf deine Art nachzustellen.

Da stellt sich mir die Frage: Wie wichtig ist das Material, die Technik für dich? Ist es nur eine Vorliebe, analog zu fotografieren, oder steckt mehr dahinter? Bestimmt die Technik der Fotografie wesentlich wie gesehen wird?

Technik ist mir schon in gewissem Maße wichtig. Ich schaue mir gerne im Internet teure analoge Kameras an und träume davon damit zu fotografieren. Ich habe die Kamera, die zu hundert Prozent zu mir passt, noch nicht gefunden, ich bin noch immer auf der Suche. Analog zu fotografieren ist für mich keine Vorliebe, sondern Einstellungssache. Für mich ist es ein Handwerk, das man erlernen muss, mit „echtem” Output, keine „augmented reality”, sondern greifbare Ergebnisse mit dauerhaftem Wert. Mir gibt die digitale Fotografie nichts, ich habe mein komplettes digitales Equipment verkauft. Die Kamera, mit der ich im Moment fotografiere, hat fünfzehn Euro gekostet, mit Objektiv, aber sie hilft mir, dass ich das Gesehene in stimmungsvolle Fotos umwandeln kann. Ich finde sehr wohl, dass der Blick durch den Sucher verändert, wie man sieht, sich bewegt und fühlt. Wenn ich zum Beispiel eine Weitwinkellinse an der Kamera montiert habe, bewege ich mich anders als mit einer Tele-Optik. Mein Schwerpunkt wird tiefer, ich gehe öfter in die Knie und suche niedrige Standorte.

Welches Foto ist gerade jetzt dein Lieblingsbild?

Eine Fotografie von Bruno Linher

© Bruno Linher, 2020

Kannst du zu diesem Bild etwas sagen? Ich finde, es ist ein gutes Beispiel für deine Art zu fotografieren, es ist sehr dokumentarisch, hat aber auch sehr viel Stimmung. Viel Sehnsucht empfinde ich in dieser Fotografie.

Das Bild habe ich während einem kleinen Spaziergang in der Wiener Lobau aufgenommen. Die Gegend ist von ruhigen Straßen mit viel Natur und Donau-Altarmen bestimmt, und es befinden sich in diesem Umfeld auch einige Pferdeställe. Für mich bedeutet das Foto Freiheit, das spiegeln die Pferde wider, Idylle, Ruhe und Gelassenheit. Und natürlich Sehnsucht, aber die findet sich in vielen meiner Fotos.

Welche Fotograf*innen findest du gut? Ein paar Beispiele vielleicht …

Henry Cartier Bresson, Subhash, Ansel Adams

Das ist ein bisschen irritierend für mich in Verbindung mit diesen Berühmtheiten genannt zu werden. – Bitte beschreibe ein wenig, warum dich die Arbeiten dieser Fotografen interessieren.

Ich mag Fotografen, deren Bilder mich faszinieren, mich magisch anziehen. Dabei ist es egal, ob man ein weltberühmter Fotograf ist oder ein weniger bekannter Fotograf aus dem Waldviertel. Ich liebe Cartier-Bressons Informationsdichte, Adams perfekt belichtete Landschaftsbilder, genauso wie deine kreative Herangehensweise an die Fotografie, sei es bei deinen Landschaftsaufnahmen, den „Travelling Plants” oder bei deinen Fine-Art Fotografien.

Fotografieren ist oft ein einsames Geschäft. Wie trittst du über deine Fotografien mit interessierten Leuten in Kontakt? Und noch mehr: Hat deine Fotografie neben der ästhetischen auch eine politische Komponente?

Da ich sehr unbekannt bin und eigentlich noch ein Anfänger, trete ich im Moment nur auf meiner Internetseite und auf meinem Lomo Home auf. Am 26.5.2020 wird im Lomography Magazin ein Artikel über meine Serie „Experimental, or something went wrong” veröffentlicht und am 3.6.2020 gibt es eine kleine Ausstellung im Shopping Center Nord (SCN) im 21. Bezirk in Wien, wo ich drei Zeichnungen und einige Fotos ausstelle. Meine Fotos haben schon auch eine politische Seite, sie zeigen zum Beispiel Umweltverschmutzung, Müllablagerungen oder Verbauung früherer Gärtnereien. Die/Der Betrachter/in kann sich dann selbst etwas dazu denken.

Eine Fotografie von Bruno Linher

© Bruno Linher, 2020

Möchtest du noch etwas sagen, wonach ich nicht gefragt habe?

Ja: Seid zufriedener mit dem, was ihr habt, und mit Freude, Glück und Frohsinn gestimmt, dass es euch gut geht. Das ist nicht selbstverständlich.

Bruno, danke für das Gespräch!

Hier noch die Links zu Brunos Websites; viel Spaß damit!
https://knipserich.com
https://www.lomography.de/homes/knipserich

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