In der Ruhe liegt die Kraft

Schaf-Kletterpartie

Gemütliche Serienaufnahme einer waghalsigen Kletterei

Wie viele Bilder pro Sekunde kann Ihre Kamera aufnehmen? Vier? Sechs? 25? (Wenn sie Filmchen drehen kann, dann werden’s wohl 25 sein.) Wie schnell ist denn der Autofokus? Braucht er 0,75 Sekunden um endlich scharf gestellt zu haben? Oder gar noch länger? Haben Sie ein „schnelles” Objektiv, eines, mit dem man auch bei sehr wenig Licht noch auf kurze Belichtungszeiten kommt und Bewegung einfrieren kann?

Sie erinnern sich: Vor ein paar Tagen habe ich über die Regeln geschrieben, die es in der Fotografie gibt. Eine weitere lautet: „Schnell ist gut.” Das Werkzeug soll schnell sein. Wie sonst könnte man die Schnelllebigkeit unserer Zeit einfangen? – Nun …
So spektakulär ein gestochen scharfes Bild einer Gewehrkugel, die gerade einen Apfel durchschlägt, auch ist: Wie oft haben Sie so ein Bild nun schon gesehen? Vier Mal, fünfzig Mal? – Ich hab’s schon oft genug gesehen; ja, es ist erstaunlich, bemerkenswert, spannend … aber: Besonders berühren kann mich solche Fotografie nicht. Was haben erschossene Äpfel auch schon mit meinem Leben zu tun? Glücklicherweise wenig.
In der Ruhe liegt die Kraft. Haben wir ja alle schon einmal gehört.
Wir Fotograf*innen haben auch schon gehört, dass sich manche Kolleg*innen mit Mittelformatkamera und Stativ abschleppen, solche nämlich, die noch dazu um vier Uhr früh aufbrechen um Landschaftsaufnahmen zu machen. Was wir vielleicht aber noch gar nicht vermutet haben: Das sind nicht alle Spinner. Wer einmal gesehen hat, welche Ergebnisse ihre Arbeit bringt, der kommt vielleicht ins Grübeln: ob nämlich Tempo alles ist. Ob wir nicht einmal ein wenig mehr Zeit investieren sollten. Nicht mehr Zeit ins Fotografieren, sondern weniger, aber bessere Bilder machen. Mehr Zeit pro Bild, weniger Aufnahmen pro Stunde. Die Thermoskanne einpacken und das Dauerfeuer einstellen. Langsam ist nicht immer gut, manchmal müssen wir schnell reagieren um unser Bild zu bekommen, selbst als Landschaftsfotograf*in, aber schnell ist sicherlich auch nicht immer gut. Diese Regel streichen wir besser wieder. Vielleicht sollten wir vom Urlaub wirklich nur mit 100 Fotos nach Hause kommen, nicht mit 5.000. Ob dann nicht 10 dieser 100 Bilder wirklich bemerkenswert sind. Es mag ja auch unter den 5.000 Aufnahmen des letzten Urlaubs 10 hervorragende geben, aber haben Sie sie schon gefunden?
Sonnenaufgang am Hausberg („Morgenlicht”)
Ich möchte niemandem den Spaß am Tempo der Digitalfotografie verderben, aber wann sind Sie das letzte Mal eine halbe Stunde lang unter einem Baum gesessen und haben nur in die Gegend geschaut? Nicht auf der konzentrierten Suche nach einem Motiv, sondern beinahe absichtslos? Ist Ihnen aufgefallen, wie nach 10 Minuten Dinge auftauchen, die vorher anscheinend nicht da waren? (Und ich meine damit nicht nur Eidechsen.) Wie das Alltägliche, Unspektakuläre langsam wieder interessant zu werden beginnt? Selbst dann kann man noch etwas warten und nicht gleich die Kamera ans Auge heben.
Es ist ja wirklich erstaunlich, wie schnell Fotografie heutzutage sein kann. Wie schnell die Kameras sind, wie wenig Zeit von der Aufnahme bis zur Betrachtung des Bildes vergeht. So können wir uns ja eigentlich jede Menge Zeit lassen. Wir haben sogar so viel Zeit, wieder jedes Bild mit dem Stativ aufzunehmen, wenn wir dieses Experiment versuchen wollen. Erstaunlich wie anders die Bilder werden. Hat Ihre Kamera einen so genannten „Live view”, dann sehen Sie sich doch das Bild vor der Aufnahme an. Sie sehen’s ja vor sich, klein zwar, aber doch zweidimensional und eingerahmt. Sie schauen nicht durch den Sucher auf’s Motiv (und damit auch durch das Bild), sondern sehen das Ganze im gewählten Ausschnitt. Ist die Komposition der Bildelemente so, dass sie Ihre Empfindung darzustellen vermag? Stört etwas am Bildrand und zieht die Aufmerksamkeit ab? Irgendwo ein aufdringlicher Klecks, der dort nicht sein sollte? Manchmal reichen ein paar Schritte zur Seite und das Bild gewinnt an Konsistenz. Manchmal aber lassen wir es besser sein, drücken nicht auf den Auslöser, sondern packen unsere Ausrüstung zusammen und schlendern weiter: Die Welt ist groß und vermutlich ist morgen auch noch ein Tag.

Ruhe

Ähnlich lohnend ist es, sich hin und wieder wirklich Zeit zu nehmen um gute Fotografie anzusehen. Ich weiß schon, dass wir alle wenig Zeit frei haben, aber statt 10 Minuten Werbung zwei gute Fotos ansehen oder vielleicht einfach nur die Menge der konsumierten Bilder zehnteln, das können wir schon. Natürlich weiß man vorher nicht, ob sich’s auch lohnen wird. Vielleicht haben wir uns gerade ein paar schlechte Bilder ausgesucht. Wenn wir aber möglichst viel ansehen, nur um nichts zu versäumen, dann versäumen wir ziemlich sicher die tiefere Berührung durch die für uns wirklich sehenswerten Bilder. Versuchen Sie es vielleicht einmal damit: „Stars fell on Livaniana”. Wunderbare, zarte Aufnahmen mit viel Gefühl und Aufmerksamkeit. Ich weiß nicht, ob der Fotograf langsam fotografiert, aber ich weiß, dass ich mir besser Zeit nehme für seine Bilder. Dann spüre ich einen Zauber, der mir sonst entgeht. Vielleicht nicht den selben Zauber, den er empfindet, aber den, der in der Interaktion seiner Bilder mit mir entsteht.
Wie viele großartige Bilder pro Jahr fand Ansel Adams einen recht guten Schnitt? Zwölf?

Ergänzung (8.6.2012):
Ich freue mich nun auch die Fotografien von „Stars fell on Livaniana” und der Schwesterseite „Blues on planet Mars” als Drucke oder Fine Art Prints hier im Onine-Shop anbieten zu dürfen.

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18 Gedanken zu „In der Ruhe liegt die Kraft

    • Beides kann inspirierend sein: Sich die Einschränkung eines Themas aufzuerlegen verhindert, „die Bäume vor lauter Wald nicht zu sehen”; wahrzunehmen ohne Absicht öffnet den Blick für das bisher Unbeachtete und lässt die vorgefertigten Rezepte, wie man was aufnimmt, beiseite, was zu Misserfolg oder zu neuen Sichtweisen führen kann.

  1. «Nicht auf der konzentrierten Suche nach einem Motiv, sondern beinahe absichtslos?»
    Nun, ob diese Absichtslosigkeit zu erreichen ist? Ich sehe zwei verschiedene Formen des Fotografierens. Die eine Möglichkeit ist die des Bildaufbaus wie in der Malerei, also ein additiven Verfahren, so arbeiten z. B. die professionellen Still-Live-Fotografen. Oder die Methode des Subtrahierens, was ja durch die Kameratechnik, Format, Brennweite, im Ansatz vorhanden ist. Aus einem «großen Ganzen» reduziere ich bis ein ästhetisches Bild erscheint. Manchmal geschieht das spontan, da drängt sich ein Bild förmlich auf. Das, würde ich sagen, ist dann ganz nah an der Absichtslosigkeit.
    Ich erinnere mich an eine Bergtour im Karwendel als ich meine Großformatausrüstung einen ganzen Tag lang schleppte ohne auch nur ein Bild gemacht zu haben. Man nimmt ja, in der Regel, die Kamera mit um zu fotografieren und nicht um nicht zu fotografieren. Ein Aspekt an diesem Tag war sicher auch die analoge Arbeitsweise. Filme entwickeln, Kontakte machen, Materialkosten, da überlegt man schon zweimal ob das jetzt ein Bild ist oder nicht. Das ist in der digitalen Welt schon etwas anders.
    Falls es interessiert, hier einige Bilder von mir:
    http://www.whitewall.com/wagenhaeuser
    https://picasaweb.google.com/lh/myphotos
    Wir können uns gerne noch etwas austauschen.
    Gruß Klaus

    • Danke für deine Anmerkungen, Klaus! Mir ging es nicht so sehr um technisch-bildgestalterische Maßnahmen – da kann ich deine Beschreibung der zwei Herangehensweisen gut nachvollziehen –, sondern um eine „innere Haltung” bevor ich noch eine Motividee im Kopf habe. Kurz gesagt: sich keine Motive zu suchen, sondern sich von ihnen finden zu lassen. Eine mehr empfängliche, weibliche Haltung statt der üblichen aggressiven (i.e. „herangehenden”) Macher-Attitüde. Die muss man mehr zulassen, als erreichen.

  2. Hallo Subhash, historisch gesehen gab es da etliche Ansätze. Meines Wissens nach war Alfred Stieglitz mit seiner Equivalent Series ein Auslöser. Minor White der ein Gurdjeff-Anhänger war, ließ die Teilnehmer seiner Photo-Workshops erstmal ne halbe Stunde auf dem Acker tanzen, um die Leute von dem ganzen technischen wegzubringen. Aber sind wir da nicht wieder beim «Nicht-Tun tun»?
    http://www.phillipscollection.org/research/american_art/artwork/Stieglitz-Equivalent_Series1.htm
    http://www.google.de/search?q=Minor+White
    Auf der anderen Seite brauche ich ja auch eine möglichst perfekte Technik um das Bild so zu gestalten wie ich es sehe. Das war der große Verdienst von Ansel Adams.

    • Ich glaube, idealerweise hat man die Technik komplett vergessen, und „bekommt” (s)ein Bild. Wissen, das man sich wirklich angeeignet hat, funktioniert intuitiv. Diese Erfahrung habe ich beim Shiatsu gemacht und mache sie beim Fotografieren glücklicherweise ebenso immer wieder. Es wird dann nichts mehr „gemacht”, alles geschieht einfach von selbst. Das Sehen wird fotografisch und die Kamera so selbstverständlich wie meine rechte Hand. Ich gestalte nichts, ich bin vielmehr Teil der Gestaltung. Was dann entsteht, kann so aussehen wie die Bilder meiner Serie „Still living beings” oder wie «Chromata apo ti kriti».
      Danke für den Hinweis auf Minor White. Den habe ich bisher noch nicht beachtet.

      • Wenn ich in mir selbst ruhe, mich selbst mag und in Ordnung finde, dann kann ich über Anspruch und Ablehnung von außen stehen. Doch diese Sicherheit, in der ich froh sagen kann: „Ich bin ich“, die habe ich nur manchmal.
        Viele Grüße
        Lucia

  3. In etwa so hat Osho, damals noch Baghwan, einen guten Therapeuten beschrieben. Er «verschwindet» im Flow. Ich hatte mal eine Serie mit einem ganz ähnlichen Ansatz gemacht und zwei Kalenderverlagen als Idee angeboten. Die hatten sofort abgewunken, keine Mensch würde verwischte und unklare Bilder kaufen. Da gab es wohl Versuche, die alles andere als erfolgreich waren. Solche nicht gegenständlichen Aufnahmen bieten wohl einen zu breiten Raum der Interpretation.
    http://www.himmelswiese.com/Panta_Rhei/index.html

    • Ich hab’s natürlich vermutet, dass ich die Fotografie nicht neu erfunden habe, als sich bei mir diese Art zu entwickeln begann. Sie wuchs zwar organisch aus dem heraus, wie ich bis dahin fotografisch gearbeitet hatte, doch war mir klar, dass diese fotografischen Möglichkeiten schon zu Analogzeiten bestanden.
      Nach einiger Zeit entdeckte ich auch Fotograf*innen, die einen ähnlichen Ansatz verfolgten. Ich nenne nur
      Klaus Petsch
      Eva Polak und auch
      Stefan Krauss
      Deine Bilder passen in diese Reihe. Ich versuche ja noch weiter zu gehen und gegenstandslose Fotografie zu machen, „deren Merkmal sogar die völlige Abwesenheit eines konkreten Gegenstandsbezuges ist.” (Wikipedia)
      Was die Vermarktung betrifft: Ich glaube nicht, dass Kalenderverlage die Speerspitze an Innovationsfreudigkeit darstellen. 🙂

    • Dieses „Wissen, was man macht” wird sehr hoch gelobt, ja geradezu gefordert von (ernsthaften) Fotograf*innen. Was aber ist darunter zu verstehen? Ich bin mir sicher, niemand überblickt alle Umstände und Auswirkungen seiner Werke. Und wenn es doch so wäre, es gäbe nichts Langweiligeres als ständig wiederholte Routine. –
      Ich weiß recht genau, was ich mache, und doch haben bei mir Zufall und unbewusste Handlungen ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Ich meine, dass so das Neue eine größere Chance hat in Erscheinung zu treten. Daher räume ich dem Unbekannten und Unbewussten Platz ein so gut ich kann.

      • «Wissen, was man macht» bedeutet wohl in erster Linie sich nicht der Diktatur des Apparates zu unterwerfen und sich auch nicht von einem Motiv überwältigen lassen.
        Vilem Flusser, ein bereits verstorbener Philosoph und Medientheoretiker umschreibt das sinngemäss so: Der Fotoapparat hat sich durch die Resonanz seiner Anwender ständig verbessert im Bestreben nach dem technisch perfekten Bild. Dadurch wird jedoch der Fotograf entmündigt und ist hoffnungslos unterlegen. Es herscht die Diktatur des Apparates. Dieses und die Anfälligkeit für «das scheinbar Schöne» führt zu einer nicht endend wollenden Produktion von redundanten Bildern.
        Das Konzept («Wissen, was man macht») des Fotografen verweist das Apparateprogramm in die Schranken und es erhält wieder seine dienende Funktion.
        http://de.wikipedia.org/wiki/Vil%C3%A9m_Flusser
        http://www.equivalence.com/index.php
        Schau Dir mal den Robert Häusser an. Er tut genau das, andere Bilder haben ihn nie interessiert. Trotzdem hat er «genau gewußt was er macht, fotografiert»
        «Das Unsichtbare sichtbar machen» hieß ein Film über ihn.
        http://www.google.de/search?q=Robert+Häusser&hl=de&hs=1nj&prmd=imvnso&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ei=oesTT_m6J4zRsgbe6tg7&ved=0CEQQsAQ&biw=1159&bih=802
        http://www.robert-haeusser.de/
        Gruß
        Klaus

        • Ich bezweifle, dass „Wissen, was man macht” das Kreisen in altbekannten Bahnen verhindern kann. Denn Wissen in diesem Sinn ist immer altes Wissen. Meines Erachtens nach steht hinter dieser Forderung eine Überbewertung der Vernunft. Ich meine, jede*r soll so arbeiten wie sie oder er möchte, aber ich für meinen Teil lasse mich gerne vom Motiv überwältigen, besonders, wenn es ein unsichtbares Motiv sein sollte.

    • Oh ja, danke für den Link!
      Ich stelle gerade mein neues eBook fertig, das sich mit abstrakter Fotografie beschäftigt. Das ist zum Großteil noch wesentlich ungegenständlicher, aber abstrahiert wird ja auch in diesem Buch von Ulrike Crespo von der gegenständlich-darstellenden Fotografie. Insoferne passt es gut in das Thema, das mich die letzten Monate beschäftigt …

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