Hallo Birgit, bitte stelle dich kurz vor und erzähle uns, warum du deine Foto-Website „Seh-n-sucht” genannt hast. Ist Sehnsucht nach (aufmerksamem) Sehen dein Hauptantrieb zum Fotografieren?
Moin – ich bin eine von Vielen – Jahrgang 1964 und heiße Birgit Franik. Geboren und aufgewachsen bin ich in Mülheim an der Ruhr, und vor gut 20 Jahren sind wir im Rahmen der Familienerweiterung ins südliche Münsterland gezogen, wo wir die Ruhe, das Dörfliche, Gemütliche und Überschaubare genießen.
„Vier in einer Reihe” – Stieglitze – 2020, © Birgit Franik
Als ich irgendwann den Zank und Streit der zahlreichen Communities satt hatte, habe ich mir überlegt, selber eine Homepage auf die Beine zu stellen. Vorher hatte ich schon anderen bei den Homepages geholfen, und so schwer ist das ja auch nicht. Natürlich kommt man immer wieder an seine Grenzen, wenn man das nicht gelernt hat, aber Probleme sind dazu da gelöst zu werden und „Geht nicht, gibt’s nicht“.
Meine Homepage (https://seh-n-sucht.de) brauchte einen Namen. Seh-N-Sucht ist zusammengesetzt aus SEHEN und SUCHT. Ja, die Fotografie gehört schon ein Stück zu mir. Sie bringt mir die Ruhe, die man manchmal braucht. Abschalten, kreativ sein, einfach mal an nichts anderes denken. Da kann man schon mal süchtig werden.
Der Untertitel deiner Website lautet „Eine andere Art die Welt zu sehen”. Inwiefern kann das die Fotografie leisten? Wie erweitert sie deine Weltanschauung? Und die deines Publikums?
Ja, anders sehen – das ist für viele ein Problem. Meine Bilder sind „unscharf”, sie sind „verwackelt”, sie wurden mit Objektiven fotografiert, die alt sind und nicht mehr den heutigen Standards entsprechen. Dann hatten sie zu wenig Kontrast, sie waren zu leer (manch anderer nennt das minimalistisch). Die Objektive haben Macken, ihre Eigenarten, ihren ganz persönlichen Charme. Jedes ist anders und oft kann ich schon am Bild sehen, welche Linse benutzt wurde. Und ich habe meinen Dickkopf – ich mache meine Bilder so, dass sie MIR gefallen. Mein Hobby, meine Zeit – damit mache ich was ich will!
Lensbaby Velvet 56 – Projekt Offenblende 11/2017 © Birgit Franik
Das passt natürlich nicht in den Mainstream von SCHARF, SCHÄRFER, NOCH GENAUER! Damit ist man in den Communities lange Zeit Zielscheibe gewesen. Die Zeiten haben sich nun etwas geändert, aber ich hatte lange Probleme meine Bilder überhaupt sichtbar in eine Community zu bringen, weil sie halt nicht so scharf sind, wie die SCHARF-Fraktion sie gerne hätte. Und es wollte auch niemand verstehen, dass ich das ABSICHTLICH so mache. Abstrakt und kreativ wurde einfach nicht akzeptiert. Daher „eine andere Art die Welt zu sehen”.
Durch die Fotografie lernt man viel – wenn man möchte. Ich habe mich mit den Blumen und Insekten beschäftigt, immer wieder versucht herauszufinden, was ich da fotografiere. Bei der Architekturfotografie beschäftige ich mich auch immer ein bisschen mit dem, was ich da gerade sehe. Wer war der Architekt, was hat er sonst noch so gebaut. Wo steht das. Wie sehen das andere. So lässt sich der Horizont doch ständig erweitern – wenn man will.
Im Austausch mit anderen Fotografen gerate ich oft auf Menschen, auf die ich sonst nie getroffen wäre. Ein Hobby was verbindet über Grenzen und Befindlichkeiten hinweg. Und es ist bei Treffen auch immer spannend, wie andere genau das Gleiche sehen. Ein Motiv und genauso viele unterschiedliche Fotos wie Fotografen am Werk waren.
Publikum? – Also zum einen führe ich keine Statistiken oder LIKE-Kurven. Die Homepage ist ja irgendwie mein persönliches Fotoalbum, Ablage, Arbeitsmappe. Ich freue mich immer wieder, wenn Leute vorbeikommen, beim Like nach DSGVO sehe ich leider nur noch eine Summe „Herzchen”, weiß aber nicht wer dahintersteckt. Ehrliches Feedback … – Es gibt so viele, die es nur machen, um ihre eigenen SEO-Zahlen aufzupeppen. Ich like dort, wo es mir ehrlich gefällt, und schreibe Kommentare mit meist mehr als 3 Worten und in ganzen Sätzen, dort wo ich meine, einen schreiben zu wollen. Also mache ich beim SEO-Ping-Pong nicht mit und bin damit für viele auch uninteressant.
Kann man als bloße*r Betrachter*in von Fotografien seine Weltanschauung erweitern oder sieht man buchstäblich nur das, was man kennt?
Ich denken das kommt auf den Betrachter an. Nun gut, der erste Schritt sie (die Bilder) anzuschauen wäre, dass sie für andere interessant sind.
Ich kann das nur aus meiner Erfahrung beantworten. Ich schaue mir oft andere Bilder an. Und natürlich lerne ich dabei was, wenn ich mich dafür interessiere. Natürlich denke ich über die Bilder nach und ich begreife doch auch mehr. Oft google ich weiter und versucht Dinge, die ich dort sehe besser zu verstehen. Aber das liegt doch in der Natur des Betrachters.
Als Fotografierende schaue ich mir Bilder vermutlich anders an, als z.B. ein Biologe es machen würde oder „Tante Käthe”. Jeder sieht es von einem anderen Standpunkt aus, und jeder hat sein Leben, seine persönlichen Erfahrungen immer im Hinterkopf, wenn er sich die Bilder anschaut.
Lensbaby Velvet 56 – Projekt Offenblende 07/2017, © Birgit Franik
Und ich glaube, das ist auch ein Stück weit so wie in der Schule – wer lernen und erweitern will, der macht das – der andere schaut einfach und geht wieder.
Seh-N-Sucht hat aber auch die Sehnsucht in sich. Ist die Fotografie für dich also auch vorübergehende Erfüllung einer Sehnsucht?
Sehnsucht nach innerer Ruhe, Stille, nach Abschalten – frei von den üblichen Gedanken, Termine, was man noch zu tun hat, an was man denken muss etc., sich einfach auf das Einlassen, was man vor der Kamera hat – gewollt oder ungewollt und den Moment genießen. Hat was von Meditation, bei der sich auch der Geist beruhigt.
Ist dein Fotografieren intuitiv oder arbeitest du mit Konzepten?
Da es mein Hobby ist, habe ich Konzepte um zu lernen – vorher hatte ich ja von all dem gar keine Ahnung. Und glaubt mir, ein bisschen Ahnung zu haben hilft oft ungemein! Daher gibt es auch in jedem Jahr Projekte, weil ich damit gezwungen werde auch mal neue Wege zu gehen und die Komfortzone zu verlassen. Natürlich ist es einfacher immer das zu tun, was gut funktioniert, aber es ist auch toll, wenn man sich was Neues erarbeitet hat.
Neben Wochenprojekten, bei denen ich einfach so zwanglos mitmache, habe ich auch meine eigenen, persönlichen Projekte. Im letzten Jahr war das z.B. „IRre schön Borken”. Die Infrarotkamera hatte ich schon ein paar Jahre, aber die Entwicklung der Fotos war noch immer das Problem. Man muss sich schon gut durchs Netz lesen um da eine Umsetzung zu finden, die zu einem selber passt. Also von vielen Ideen Stückchen sammeln und zu einer eigenen Idee zusammenfügen. Meine Fotos hatten mir zu wenig Farbe. Vielleicht war der Filter nicht so gut gewählt, aber mein Spruch ist ja: „Geht nicht – gibt’s nicht.” Also habe ich mich dann darangesetzt und „geforscht”. Es gibt auch immer die Leute, die einem dann sagen, dass das nicht geht, aber solange ich das nicht selber ausprobiert habe, glaube ich nicht mehr so viel. Meistens geht viel mehr, wenn man es denn wirklich will! Ende März 2019 war es dann so weit – ich habe es geschafft richtig Farbe in die IR Bilder zu bringen. Daran arbeite ich auch in diesem Jahr noch. Ich möchte nicht einfach ein Schema-F von irgendwem übernehmen – ich möchte aus vielen Ansätzen meinen eigenen machen.
IRre Schön Borken 21/52 – 2019 – Lensbaby Burnside35, © Birgit Franik
Es gibt also immer auch rote Fäden im Jahr an denen ich arbeite, genauso wie ich einfach die Fotos mache und in meinen Blog einpflege, die mir gerade passen. Die Projekte der letzten Jahre zeigen sich, wenn ihr auf meiner Homepage mit der Maus einfach über den Menüpunkt PROJEKTE fahrt. Und die Bilder die ich für meine Projekte brauche, die sind mir meistens zugeflogen. Nur selten musste ich wirklich überlegen, was ich mache und gezielt dafür irgendwohin fahren. Viele der Bilder entstehen auf längeren oder auch kürzeren Gassi-Runden mit dem Hund. Man muss ja nicht immer die gleiche Runde laufen – das bringt dann nicht nur Abwechslung für die Fotos, sondern auch für den Hund.
Meine eigenen Projekte waren in 2017 – „Offenblende”, in 2018 „Creative Lenses”, in 2019 „Visuelle Werkzeuge” (das Projekt ist auch noch nicht fertig – nur sind die, die mitgemacht hatten, aus verschiedenen Gründen abgesprungen – das Projekt wird noch fortgesetzt), seit 2019 und auch 2020 „IRre schön Borken”.
Deine Bilder sind ja nicht das, was man für gewöhnlich von engagierten Fotograf*innen sehen kann, wie hat sich deine Art entwickelt? Wie findest du Inspiration?
Oh ja – sie sind unscharf – ungewöhnlich unscharf – haben merkwürdige Schärfepunkte – sie sind anders. Oft sind sie gar nicht unscharf – also nicht überall, aber sie haben eine andere, ich nenne es „weiche“ Schärfe. Das ist nicht wirklich unscharf aber ungewohnt für unser Auge.
In einer der ersten Communites, die ich besucht hatte – war mein Bild „Apple Spring” nicht gut wegen des Namens. In der nächsten Community gab es das Problem, dass dieses Bild nicht von der vorderen Spitze bis zum Zweig scharf war und deshalb nicht durch die Kontrolle kam. – Wenn die wüssten, was ich heute für Fotos mache … „Apple Spring“ ist ja noch sowas von normal … Was es da alles für „Regeln” gab: Canon Kameras werden generell mit einer Belichtungskorrektur von –2/3 eingestellt! Wie sinnfrei ist das? Wenn das so wäre – warum kann ich von –2 bis +2 einstellen? Regler bei der Entwicklung in LightRoom – warum darf ich die nicht nach links schieben? Psst – auch der Schärferegler lässt sich nach links schieben! Nach rechts ist gut – nach links nicht? Ich stelle das in Frage! Wer entscheidet das eigentlich was man fotografieren und zeigen darf? Wie scharf muss ein Foto sein? Warum darf ich den Weißabgleich nicht FALSCH einstellen? Warum sind da ständig welche, die mich an dem was ich tun möchte hindern wollen? Heute lache ich darüber, aber vor 10 Jahren fand ich das alles gar nicht lustig. Ich hatte doch gar nicht den Anspruch biologisch einwandfreie Naturfotos zu machen, auf denen man alles erkennt. Und es wäre doch echt langweilig, wenn wir alle nur solche Fotos machen würden. Es war schwer sich gegen die Menge derer, die „normal“ fotografieren durchzusetzen und mein Ding weiter zu machen.
Anders zu sehen, neu zu sehen, nicht streng dokumentarische Fotos zu machen, falsch (?) zu fotografieren, entgegen dem Mainstream, kreativ zu sein, Dinge auszuprobieren mit alten oder kreativen Linsen oder absichtlich veränderten Objektiven. Dinge so zu fotografieren, wie die meisten Betrachter sie normalerweise nicht sehen. Alles wurde schon mal fotografiert, warum dann nicht einfach mal anders?
Winterimpressionen – Mittelfomat Volna-3/80mm/Squeezerlens, © Birgit Franik
Ich hatte eine Zeit lang versucht die Fotos so zu machen, wie andere sie haben wollten, bis ich dann die Nase voll davon hatte. Schlussstrich darunter und mit meiner Homepage angefangen. Endlich die Freiheit das zu tun, was ich wollte ohne ständig dieses Genörgel.
Natürlich hatte ich auch viel gelernt in der Zeit in den Communities. Es gibt ja auch immer die Kommentare die einem weiterhelfen. Wertschätzende Kritik, die auch nach dem WARUM fragt und erklärt. Also warum hat der Fotograf es so gemacht, wie ich es jetzt sehe und wenn ich dann denke es ist „doof”, dann bitte habe ich auch zu erklären, warum ich es „doof” finde. Eine wertvolle Zeit in einer ganz kleinen Community mit Leuten, mit denen ich heute noch Kontakt habe war – denke ich – ein Grundstein um meine Art zu entwickeln. Obwohl ich nie wirklich daran entwickelt habe – es ist einfach passiert.
Inspiration? – Du fragst mich Sachen … ich habe noch nie danach suchen müssen. Sie ist einfach da. Vielleicht weil ich mich für viel interessiere, weil ich Dingen auf den Grund gehe, weil ich neugierig und mit offenen Augen durch die Welt gehe und offen für Neues bin. Langeweile kenne ich nicht und in der Fotografie habe ich noch so viele Ideen … Zeit wäre gut …
Wie wichtig ist dir das Werkzeug? Kamera, Objektive, …? Oder anders gefragt: Könntest du dich mit jeder Kamera ausdrücken?
Das ist ein bisschen so wie der Hammer in der Hand des Maurers, der Pinsel in der Hand des Malers. Für mich muss es nicht die teuerste Kamera sein, aber das Menü sollte intuitiv passen, die Größe und das Gewicht finde ich schon wichtig. Da ich recht große Hände habe, drücke ich bei den kleinen Kameras ständig auf allen Knöppkes rum. Und ich weiß nicht, ob ihr das kennt – es gibt nichts schlimmeres als wenn immer was angeht, was nicht angehen soll. Daher mag ich eher die Kameras, an denen auf recht viel Fläche wenige Bedienelemente sind. Ich komme auch mit dem Handy nicht wirklich klar – zu leicht – wackelt zu schnell und die kleinen Sensoren haben aber auch viel zu viel Schärfentiefe. Ich mag also schon Vollformat-/Kleinbildkameras und Objektive mit großer Offenblende. Die dürfen dann aber auch vom Flohmarkt sein und Fehler haben. Da ich sie eh meist nur mit Offenblende nutze, macht es auch nicht so viel, wenn die vordere Linse Gebrauchsspuren aufweist.
Rudbjerg Knude Fyr – Løkken Dänemark 2012, © Birgit Franik
Meine erste digitale Spiegelreflexkamera hatte mir mein Mann 2010 von einer Dienstreise mitgebracht. Canon Crop. Canon ist gut, und die Menüführung passte, das Gehäuse war mir zu klein und man nutzt die Objektive nicht voll aus. Vollformat ist mir schon wichtig. Ein Cropsensor hat nur ca. 40% der Fläche eines Vollformat-/Kleinbildsensors. Da fehlt natürlich dann auch jede Menge Bokeh, und das findet in den Randbereichen statt, die beim Cropsensor einfach fehlen.
Würde ich aus irgendeinem Grund keine Kamera mehr haben und mir nur noch das Handy bleiben, dann würde das auch irgendwie gehen. Denn eine Handy-Kamera ist allemal besser als gar keine Kamera!
Aber so lange ich noch die Wahl habe, hätte ich gerne eine Kamera. Die muss auch nicht schnell auslösen oder viele Bilder in der Sekunde machen. Ich brauche auch keine 50 MP! Die Kamera muss gut in der Hand liegen und funktionell sein. Heute kann man bei Kameras ja eigentlich nichts mehr verkehrt machen. Irgendwie ist es wie mit Hosen – die Hose, die sich am Hintern gut anfühlt, ist die richtige. Ähnlich ist es mit der Kamera auch!
Egal wer das Foto gemacht hat – egal wie und egal womit – was am Ende zählt, ist das Ergebnis.
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