Wie kann Handy und so genannte Vollformatkamera miteinander arbeiten? Wie ist es möglich, für Anfänger*innen und Profis den selben Foto-Workshop anzubieten und sie noch dazu gleichzeitig teilnehmen zu lassen? Kommt da nicht der eine oder die andere zu kurz? –
Es ist gar kein großes Geheimnis und auch keine eierlegende Wollmilchsau nötig: Die wichtigste Zutat zu einem guten Bild ist ja nicht in der Ausrüstung zu finden, sondern im Menschen, der sie bedient. Dessen Wahrnehmungsfähigkeit zu stärken bewirkt mehr als die wunderbarste Technik und kommt ihm in jeder Situation zugute.
„Sonnenbeschirmt #9557”
Pramesh, mit dem ich das Wahrnehmungstraining „Spiel der Wirklichkeit” veranstalte (nächster Termin: 13. und 14. Mai) und der ja eine fundierte klassische Ausbildung als Fotograf hat, dem beispielsweise selbst das Scheimpflugprinzip kein Spanisches Dorf ist, hat in letzter Zeit zwei kleine Fotobücher 1) herausgebracht, die eine Besonderheit aufweisen: Fast alle Fotografien darin wurden mit einem (gar nicht besonders guten) Handy gemacht. Und das von einem Profi-Fotografen, der Fotostudios betrieben, Mode, Architektur, People & Food (wie das so schön heißt) fotografiert hat! Man kann also sehr wohl auch mit so einem simplen Ding gut fotografieren. Es kommt nicht auf die Technik an, sondern darauf, zu wissen, was man mit dem gegebenen Werkzeug machen kann und was nicht, einen bewussten, aufmerksamen Blick zu haben und vor allem Liebe zur Sache. Das ist weitaus wichtiger, als die Qualität oder Komplexität der verwendeten Kamera. Und wichtiger als Fachwissen (was manche Profis gar nicht gerne hören).
Es ist nicht so banal, wie es scheint: Sehen können ist die Voraussetzung fürs Fotografieren. Noch allgemeiner: Wahrnehmen können. So lange wir leben und nicht im Koma liegen, nehmen wir auch wahr, nur unterliegt unsere Wahrnehmung, wie alles andere auch, gewissen Routinen und Gewohnheiten. Das ist auch gut so: Wir müssen nicht jeden Tag von neuem lernen, mit den auf uns einprasselnden Informationen umzugehen. Aber es hat auch einen gehörigen Nachteil: Wir stumpfen ab, sehen nur das, was wir zu sehen gewohnt sind, und nur auf die Art, die wir eben kennen.
„Fund #9560”
Jede*r Kreative kennt das Problem verkrusteter Wahrnehmung und ist einen guten Teil seiner Arbeit der Lockerung, Erfrischung, Neubelebung von Wahrnehmung verpflichtet. Wenn ich mich für einen völlig unkreativen Menschen halte und an eine objektive Wirklichkeit glaube, kann es mich gehörig erstaunen, dass die Welt nicht einfach so und so ist, sondern so und so gesehen, wahrgenommen, gemacht wird. Und dieser offenere Zugang, diese Lebendigkeit der Welt gegenüber drückt sich selbstverständlich in meinen Fotos aus, aber auch in meiner Lebensqualität. Langeweile und Überdruß gibt’s dann nicht mehr, Neugier und Entdeckerfreude tritt an ihre Stelle.
So seltsam oder pathetisch es klingen mag: Ein Handy kann ein Werkzeug zur Welt- und Selbsterkenntnis sein, und man braucht kein Studium um daran Freude zu haben. Ja, eher geht es im „Spiel der Wirklichkeit” ums Verlernen, als ums Lernen. Ums Unbefangen werden, um kindliche Experimentierfreudigkeit, um den „Anfängergeist” wie das Shunryu Suzuki genannt hat. Und im Anfängergeist gibt es viele Möglichkeiten!
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