Ein Text zur Ausstellung in Zwettl beim Sammer:
Alle Fotografie abstrahiert.
Bleiben wir fürs Erste bei der ohnehin herrschenden Sichtweise, es gäbe „da draußen” eine Welt voller Dinge und voller Energie, und wir als menschliche Wesen hätten Organe um davon ein wenig mitzubekommen.
Unseren Sinnesorganen ist nur ein kleiner Teil dieser Außenwelt zugänglich, und dieser Teil wird in der Fotografie auf optischen Wahrnehmung und weiter auf einen bloßen Teil des Visuellen begrenzt. Beispielsweise kann ich die Spanne der Helligkeitsunterschiede, die ich sehen kann, nicht ohne weiteres fotografieren. Nehme ich sie mittels speziellem Verfahren doch auf, so kann ich sie weder dem Augeneindruck entsprechend auf einem Monitor darstellen, noch aufs Papier bringen. Weiters ist das übliche fotografische Bild bekanntlich auf zwei Dimensionen beschränkt. Aus bewegtem Geschehen wird ein Standbild, aus dem Gesichtsfeld eine Aufnahme. Und doch wurde die Fotografie in ihren Anfängen als ein Medium gefeiert, das eine nie zuvor erreichte Objektivität und wirklichkeitsgetreuen Realismus ermöglichte. Gleichzeitig jedoch gab es kritische Stimmen, die fragten, ob sie denn überhaupt imstande sei, das „Wesen der Dinge” zu erfassen. Ob sie nicht, überladen mit völlig überflüssigen Details und „unnatürlicher Schärfe”, ein nur oberflächliches Abbildungsmittel des bloßen Augenscheins sei.
Ich halte diese Fragen für wichtig, besonders heute, wenn – der Überfülle an Bildern der westlichen Welt ausgesetzt – noch immer nicht verstanden wird, dass hier von Objektivität gar keine Rede sein kann, Realismus eine eher naive Vorstellung ist und schon gar nicht die Wahrheit wiedergegeben wird. Fotografie gibt nicht Wirklichkeit wieder, sie ist Wirklichkeit: Sie wirkt. Sie liefert immer und ausschließlich Bilder der Interaktion zwischen Fotograf*in und Welt, sozusagen zwischen Innen und Außen. Sie zeigt nicht, was war, sondern bestenfalls was auch war. Das fotografische Dokument ist keine „beweisende Urkunde”, sondern – wie übrigens alle Dokumente – Darstellung der Welt, Für-wahr-Nehmung, Interpretation.
Damit verliert sie nicht an Wert; sie gewinnt! Sie zeigt, was die Fotografin, der Fotograf zeigen wollte, sie verrät mir etwas über diesen fotografierenden Menschen; sie zeigt mir nicht, was sich außerhalb des fotografischen Rahmens oder gar hinter seinem Rücken abspielte. Und dann ruft sie eine Reaktion hervor, flüchtig oder bleibend: Sie wirkt. Auf mich und andere Anschauende. Das ist zwar selbstverständlich, aber nicht belanglos: Fotografie verhärtet das Bild, dass ich von der Welt habe oder macht es geschmeidiger, erweitert es, bereichert es. Sie vertieft die Prägung der Sehroutine oder verleitet zu neuem Sehen. Sie kann meine Welt – und das ist meine Weltsicht – größer, weiter, spannender, frischer, offener machen. Und gerade weil sie heutzutage meist für ein objektiv abbildendes Medium gehalten wird, ist sie in größerem Maße als andere Kunstrichtungen dazu imstande, zu irritieren, die Klischees der Wahrnehmung aufzudecken und die Welt wieder lebendiger zu machen. Sie deutet daher gar nicht in erster Linie auf etwas da draußen, sie verweist auf mich selbst. Selbstverständlichkeiten werden zu Möglichkeiten, alternativlose Tatsachen zu poetischen Sichtweisen, eingefahrene Auffassungen durch zahlreiche Facetten bereichert. Insoferne sehe ich meine Arbeiten nicht nur als ästhetische Werke, sondern als grundlegend politische Angelegenheit, denn sie sagen, dass die Welt auch ganz anders sein kann, als sie uns derzeit erscheint: „There is an alternative.” Fotografie ist imstande die Wirklichkeit selbst in Frage zu stellen und daher radikal. So hat sie an Stelle der vorgeblichen Objektivität, spirituelle, persönliche, gesellschaftliche, politische, soziale Bedeutung gewonnen.
Schließen möchte ich mit einem Zitat frei nach Carlos Castañedas Don Juan:
Die Welt ist die Welt, weil Sie wissen, welche Anschauung erforderlich ist, sie dazu zu machen. Würden Sie sie nicht durch Ihre Anschauung zu dem machen, was sie ist, dann wäre die Welt … – anders.
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