Wie alle Abbildungen ist auch das Foto immer ein Hinweis, ein Fingerzeig „Schau mal das da, schau mal hier”. Im Mittelalter war Bildung einer elitären Klasse vorbehalten: dem Klerus und dem Adel. Dem Volk, das damals bis auf wenige Ausnahmen weder lesen noch schreiben konnte, erklärte man die Welt und vor allen Dingen Gott über Bilder. Selbstverständlich streng im Sinne des Erzählers, wurde eine Manipulation der Betrachter vorgenommen, was damals nicht sehr schwer war.
Wenn die Fotografie also eine Hinweis-Sprache ist, auf was verweisen fotografische Bilder dann eigentlich? Sie verweisen auf eine abgebildete Wirklichkeit. Der Buddhismus spricht, um die Wirklichkeit zu bezeichnen, von sunya dem Leeren, oder von tathata, dem so und nicht anders Beschaffenen, dem bestimmten Einen. Im Sanskrit bedeutet tat dieses, und das ist auch die Geste eines kleinen Kindes das sagt: „Ta da, Das da.” Die Fotografie ist eine Verlängerung dieser Geste, die aber die kindliche Unschuld verloren hat. 1) Sie wird beeinflusst durch die Konditionierung des Fotografierenden und die technischen Möglichkeiten. So gesehen ist die jede Fotografie, sei sie auch noch so durchdacht, ein reines Zufallsprodukt, da ja auch die Absicht des Fotografen nur scheinbar seine Absicht ist. Somit ist auch die Wirklichkeit, die das Foto zeigt, nur eine zufällige. Es ist die scheinbare Wirklichkeit des Fotografierenden.
Die abstrakte Fotografie möchte diese Scheinwirklichkeiten auflösen. Sie ist ein Versuch dem Betrachter eine möglichst freie Interpretation anzubieten, in dem man entweder den Bild-Raum auflöst, oder durch eine statische Abstraktion die üblichen Erkennungsmuster ins Leere bzw. ins Nichts laufen lässt. Kann sich ein Fotograf und selbstverständlich natürlich auch ein Betrachter darauf einlassen, besteht die Möglichkeit zurückzufinden zu einem schlichten unschuldigen Wahrnehmen. Ohne Wertung, reines Sehen. Sich berühren lassen und nicht wissen was da berührt, da es völlig unerheblich ist. Es gibt in der Geschichte der Fotografie viele Beispiele für gelungene Versuche durch Abstrahierung erstaunliche Bilder zu schaffen. Alfred Stieglitz mit seinen Äquivalents, Minor White und Harry Callahan zum Beispiel. In Deutschland zähle ich auch Robert Häusser dazu, der durch harte Kontraste sehr eindringliche Bilder geschaffen hat ohne die gegenständliche Ebene zu verlassen.
Wir sehen also, es gibt zwei Möglichkeiten der Abstraktion. Die eine ist ein sehr konzentriertes und konsequentes Sehen, die andere ist die Integration einer unkontrollierten Komponente während der Aufnahme. In beiden Fällen hofft der Fotograf auf den „Engel des Zufalls”: Er ist der eigentliche Bildschaffende. Denn auch die erwähnte erste Möglichkeit hat Ihre unkontrollierbare Komponente, nämlich das Auffinden des Motivs. Und da ist immer die Hoffnung, es zu finden, zu sehen. Heraklit hat es so ausgedrückt: Wenn ein Mensch keine Hoffnung hat, wird er das Unverhoffte nicht finden, denn dorthin führen weder Spur noch Pfad.
Ich glaube, beinahe jeder Künstler ist ständig bemüht, die Grenze zum Nichts zu erreichen – den Punkt an dem man nicht mehr weitergehen kann.
(Harry Callahan)
Klaus Wagenhäuser schreibt in seinem Blog „Dieses und Jenes”
über Fotografie, Food und Fahrrad …
1) Alan Watts, Roland Barthes ↑
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