Kreative Arbeit mit dem Lensbaby

Oder: Etwas Ordnung ins Chaos setzen

Lensbaby Composer Pro mit Optik „Sweet 35”

Lensbaby Composer Pro für FourThirds

Ich glaube, was wir in den Schulen und auf Universitäten lernen, ist nicht alles. Ich glaube, was uns die Zeitungen, Magazine, das Fernsehen und das Internet zeigen, ist nicht die ganze Welt. Ich glaube daran, dass Fotografieren die Wahrnehmung erweitern kann. Sie ist ein Mittel mehr von der Welt zu erfahren, indem man lernt auf andere Art zu sehen.

Jedes Objektiv fordert das „Sehen”, die Kraft der Vorstellung auf andere Weise. Während manche die Spezialobjektive von Lensbaby verächtlich als bloße Spielerei abtun, mein ich, dass auch sie das Potential haben, Kreativität und Inspiration aufzufrischen und das Sehen und damit das Leben ein wenig zu bereichern.
Lensbabies sind Tilt-Wechselobjektive (ohne Shiftfunktion), die nur einen kreisförmigen Teilbereich des Bildes scharfzeichnen, den so genannten „Sweet Spot”. Es gibt sie in verschiedenen Ausführungen. Ich selbst kenne das „Muse”, das einen balgenähnlichen Aufbau hat, und den „Composer Pro” (siehe Bild oben). Verschiedene Wechseloptiken lassen sich auf einfache Art in die Fassungen montieren. Lensbabies haben keine Springblende, keinen Autofokus und natürlich auch keinen Bildstabilisator. Es empfielt sich die Dioptrieneinstellung am Sucher der Kamera präzise einzustellen.
Was Sie außer einer Kamera, die Wechseloptiken erlaubt, und einem Lensbaby also noch brauchen, ist Geduld. Es geht nicht so schnell wie gewohnt, aber sich die nötige Zeit zu nehmen lohnt sich.
Mit einem Lensbaby kann ein Motivteil hervorgehoben werden, während die Umgebung – noch erkennbar – in Unschärfe zurücktritt. Das Bild kann dynamisch oder duftig und weich wirken, je nach Licht, Kontrast, Detailliertheit des Motivs und Blendeneinstellung.
„Pfirsichblüte” (Double Glass, Mehrlochblende ≈ f/4.8)

„Pfirsichblüte” (Double Glass mit Mehrlochblende ≈ f/4.8)
Ich fotografiere mit dem Four Thirds-System (FT), derzeit mit einer Olympus E-3-Spiegelreflexkamera. Lensbabies werden nur mittels Adapter an ein System angepasst und die Optiken nicht extra dafür angefertigt. Das hat Konsequenzen. Da der Four Thirds-Sensor relativ klein ist, ist der Bildwinkel enger als es die Brennweite vermuten lässt; er entspricht bei der Optik „Sweet 35” (die 35 mm Brennweite hat) der eines 70 mm-Objektives auf Kleinbild. Der „Sweet Spot” ist im Verhältnis zum Bild daher relativ groß. Dem kann man entgegen steuern, indem man größere Blenden wählt:

Lensbaby, Sweet 35 mm, Blende 22Lensbaby, Sweet 35 mm, Blende 8Lensbaby, Sweet 35 mm, Blende 2.5

„Sweet 35” mit Blende 22, 8 und 2.5 (Offenblende). Klicken Sie die Bilder an um die unterschiedliche Wirkung zu sehen!

Bei Blende 22 ist augenscheinliche Unschärfe nur mehr in den Ecken und am linken und rechten Rand zu erkennen, während die Offenblende eine deutliche Beschränkung der Schärfe, in diesem Fall ungefähr auf die Mitte, ergibt.
Ich ziehe das „Sweet 35”, das eine Irisblende hat, dem „Double Glass” wegen des weiteren Bildwinkels für gewöhnlich vor, allerdings sind manchmal 50 mm Brennweite (also ein Bildwinkel wie 100 mm auf Kleinbild) auch nicht zu verachten. Außerdem arbeitet man mit dem „Double Glass” mit Blendenscheiben, die es auch in Varianten wie „Soft Focus” (Mehrlochblende) gibt, was manchmal reizvoll ist (siehe „Pfirsichblüte” oben).

„Baumblüte” (Sweet 35 mm, Blende 2.8)„Durchbruch” – Sweet 35 mm, Blende 2.8„Wolfgang Puschnig” (Optik Sweet 35 mm, Blende nicht bekannt)

Die Handhabung der Lensbabies ist zu Beginn nicht einfach. Aber es gibt Hilfsmittel und Tipps. Zu Beginn würde ich Blende 4 wählen (bei FT!) um mich mit der Optik vertraut zu machen. Flache Motive sind für den Anfang besser geeignet als solche mit großer Tiefenerstreckung.
Scharfstellen:

  • Stellen Sie an der Kamera den Belichtungsmodus „Blendenvorwahl” oder „Manuell” ein.
  • Wie gesagt, Autofokus funktioniert nicht. Richten Sie ihr Lensbaby gerade aus, so dass der „Sweet Spot” ungefähr in der Mitte liegt. Stellen Sie nun scharf und verschwenken erst jetzt langsam (!) das Objektiv. Dann korrigieren Sie die Schärfe noch einmal.
  • Andere Möglichkeit: Bietet Ihre Kamera Live View, dann verwenden Sie diesen, er lässt Sie auch bei kleiner Blende noch etwas sehen. Auch ein elektronischer Sucher hellt das dunkle Bild auf. Meine E-3 hat eine „Lupe” im Live View, damit lässt sich wunderbar scharf stellen, wenn die Kamera am Stativ sitzt. Auch die Kontrolle des „Sweet Spot” ist auf diese Weise erleichtert. Besonders mit dem „Composer” ist die Kombination Live View-Lupe und Stativ ideal – wenn man Zeit für die Aufnahme hat.
  • Und noch einmal: Haben Sie Geduld! Das Arbeiten mit diesen verrückten Objektiven will gelernt sein!

„Sensibles Chaos” (Optik Sweet 35 mm, Blende 2.8)

„Sensibles Chaos” (Lensbaby Composer Pro mit Sweet 35 mm bei Blende 2.8)
Hinweis: Angeregt zu diesem Artikel hat mich eine Frage im Olympus-Userforum oly-e.de und ein zweiteiliger Artikel von Dr. Thomas Brotzler über Street Photography mit dem Lensbaby. Sehen Sie ihn sich an, er zeigt weitere Beispiele und geht auch auf künstlerische Aspekte ein. Dank an Oliver Ge.ibel für den Link!
Hinweis 2: Weitere Beiträge über’s Lensbaby

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