Schärfe ist heutzutage eine heilige Kuh. Das war nicht immer so und hat meines Erachtens nach weltanschauliche Gründe. Die Haltung, dass viel Information per se wünschenswert sei und zu einer besseren Annäherung an die als objektiv vorhanden vorgestellte Wirklichkeit führe (und „besser” wird heute letztlich mit „profitabler” gleich gesetzt), bringt mit sich, dass Detailreichtum und scharfe Abgrenzung in einer Fotografie geschätzt werden. Diese wird ja landläufig eher als Abbild der Wirklichkeit empfunden, denn als Darstellung der Kommunikation zwischen Ich und Welt oder als Reaktion der Fotografin oder des Fotografen auf einen bestimmten Kontext, in dem das Bild entstanden ist. Dazu kommt noch eine gewisse Faszination der Technik gegenüber, die manchmal bis hin zum Wunsch nach einer Herrschaft von Experten führt, weil man sich dadurch „ein besser funktionierendes Leben” verspricht.
Dem gegenüber ließ der Piktoralist Heinrich Kühn ein Weichzeichner-Objektiv bauen, das den von ihm als lästig empfundenen Detailreichtum möglichst unterdrückte und nicht zu scharf zeichnete. Es wurde bis in die 1990er-Jahre von der Firma Rodenstock als „Imagon-Tiefenbildner” hergestellt 1): Was heute als nahezu unwidersprochenes Qualitätskriterium gilt, kann also ebenso als Oberflächlichkeit, ja, als Makel empfunden werden.
Um die Vorteile der Unschärfe soll es in diesem Artikel aber nicht gehen, sondern ganz zeitgeistig darum, wie man in der Ausarbeitung einer RAW-Aufnahme eine möglichst große, dabei aber harmonische Schärfe erreicht.
Die Schärfung einer RAW-Fotografie gliedert sich in drei Schritte: Eingangsschärfung, kreative Schärfung, Ausgangsschärfung. (Verarbeitet man – notgedrungen – ein JPG, fällt die Eingangsschärfung weg.)
Es versteht sich von selbst, dass die Vorbedingung für ein perfekt scharfes Bild eine möglichst scharfe Aufnahme ist. Exakter Fokus, genaue Setzung der Tiefenschärfe, kurze Belichtungszeit, Stativ, im Idealfall noch dazu die optimale Blende für das gewählte (gute) Objektiv: Das sind die Grundlagen der Schärfe. Natürlich mache auch ich nicht jede Aufnahme mit Stativ (aber viele, vielleicht zwei Drittel), und es ist ja auch nicht bei jeder Aufnahme die optimale Schärfe wünschenswert, aber besonders bei Tele-Brennweiten ist das Stativ eine wirkliche Hilfe, strebt man perfekte Schärfe an.
Eingangsschärfung
Bedingt durch die Art wie ein heutiger Kamera-Sensor Information aufnimmt, sind Rohdaten nie wirklich scharf. Fotografiert man JPGs (was man, wenn man höchste Qualität erreichen möchte, tunlichst unterlässt), dann schärft schon die Kamera; automatisch, blind und weitgehend über einen Kamm geschoren. RAW-Daten lade ich in Lightroom, das sofort ein von mir erstelltes Preset an Grundeinstellungen anwendet. Alle Einstellungen lassen sich natürlich später ändern. Es ist ja auch nicht gleichgültig, ob man eine Landschaftsaufnahme, ein Portrait oder eine Makro-Aufnahme verarbeitet. In Photoshop hatte ich eine Aktion für meinen Arbeitsablauf geschrieben und ihn auf diese Weise beschleunigt. Ähnliches lässt sich wohl in jedem Programm, das einigermaßen für die Bildausarbeitung brauchbar ist, erreichen.
Die Eingangsschärfung wird sehr moderat vorgenommen. In Lightroom und Adobe Camera Raw (ACR) von Photoshop findet man die Einstellungen für die Eingangsschärfung unter „Details”. Der „Radius” steht immer unter 1 Pixel, für den Anfang vielleicht sogar nur auf 0,5. Die Stärke liegt bei mir auf vielleicht 35 bis 50 von 150 Werteschritten, die Details auf 65 (von 100), „Maskieren” auf 66 (von 100). Gerade die letzten beiden Werte sollten bei Bedarf moderiert werden. Man mag vielleicht nicht jede Hautpore eines Portraits scharf zeichnen (geringere Werte für „Detail”, höhere für ”Maskieren” verwenden), oder man will in einer Landschaftsaufnahme jeden Grashalm scharf zeichnen (vor allem „Maskieren” herabsetzen).
Auch „Klarheit” und erhöhter Kontrast (beide in den „Grundeinstellungen”) erzeugen den Eindruck von Schärfe. Standardmäßig stehen sie bei mir auf +12 bzw. auf +10. Auch hier wird man bei einem Portrait wahrscheinlich niedere Werte bevorzugen.
Ein Wort sei zur Rauschreduzierung (unter „Details”) gesagt: Stellt man sie unnötig hoch ein, vermindert sich der Schärfeeindruck, ja, es gibt Motive, bei denen ein Hinzufügen von „digitalem Korn” (unter „Effekte”) ihn sogar erhöht.
Kreative Schärfung
Hier geht’s darum, bildwichtige Bereiche nachzuschärfen, andere vielleicht sogar weich zu zeichnen. In Lightroom und Photoshops ACR funktioniert das mit dem „Korrekturpinsel”, der eine Einstellung für Schärfe (und Klarheit) zulässt. In Photoshop selbst kann man die Hintergrundebene duplizieren, scharf zeichnen per „Unscharf maskieren” (hier ist „Schwellenwert” bei rauschenden Bildern rauf zu setzen, vielleicht auf den Wert 3) und dann auf diese Ebene eine Maske anwenden, die man vorerst völlig schwarz hält (also keine Wirkung zulässt) und dann mit einem weißen Pinsel mit verminderter Deckkraft auf ihr jene Bereiche freilegt, auf die die Schärfung wirken soll.
Ausgangsschärfung
Ein schwieriges Thema, denn man kann keine pauschalen Werte angeben. Druckt man ein A4-großes Bild auf Fotopapier, einen FineArt-Print auf A2, erstellt man eine Version fürs Internet in 1024 x 768 px, für den Offsetdruck, einen Beamer, ein Plakat: Jedes Mal sind andere Werte optimal. Ein paar Dinge kann man aber doch raten, Expert*in wird man dann durch Erfahrung und Geduld. Mir sind die Angaben zur Schärfung in Lightroom zu vage und die Einstellungsmöglichkeiten zu wenig, daher verwende ich ein Plugin, das mir unter anderem eine Schärfung durch „Unscharf maskieren” wie in Photoshop erlaubt: LR/Mogrify 2
Internet, Mailanhang: Nehmen wir eine Größe von 1024 x 768 px und eine mittlere Detailfeinheit an, so würde ich folgende Werte für „Unscharf maskieren” empfehlen: Radius 0,4 bis 0,8; (in LR/Mogrify 2 kommt noch „Sigma” dazu, da verwende ich einen Wert, der ziemlich nahe an den Radius kommt); Stärke etwa 60 (das entspricht bei Mogrify 0,6); Schwellenwert 0 (wenn das Original wenigstens 10 Mio. Pixel hat und nicht stark rauscht). Will man vermeiden beispielsweise Falten zu stark zu betonen, kann man den Schwellenwert auch entsprechend erhöhen.
Inkjet- und Offset-Druck (Faustregel): Die Auflösung in ppi wird durch 150 dividiert, der erhaltene Wert ist der ungefähre Radius der Schärfung („Sigma” in Mogrify wieder nahe an diesem Wert). Stärke bis zu 150, je nach Motiv und Ausgabemedium (raues und mattes Papier verträgt höhere Werte als glänzendes). Der Schwellenwert sollte so eingestellt werden, dass das Ergebnis keine unerwünschten Details z.B. der Haut betont und auch nicht stark rauscht. Leichtes Rauschen ist durchaus in Ordnung und wird im Druck nicht mehr gesehen.
Die digitale Behandlung der Schärfe ist ein weites Feld, hier wurden nur die wichtigsten Punkte behandelt. Ein weitaus ausführlichere Beschreibung wurde von Scorpio im DSLR-Forum veröffentlicht. Ich empfehle sie zu studieren.
1) „Heinrich Kühn – Die vollkommene Fotografie” (2010, Albertina Wien, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern) ↑
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