Der Kanadier David duChemin hat in seinem Blog unlängst wieder einmal aufgewärmt, was hierzulande als „amerikanischer Traum” bekannt ist. So sehr ich ihn als Fotografen schätze: Ich hätte nicht gedacht, dass er mit dieser dummen, alten Geschichte daherkommt.
Arbeit ist immer historisch und kollektiv. Was immer man tut, man baut auf der Leistung anderer auf. Ohne andere Menschen gäbe es weder eine einzige Fotografie, noch irgendeine*n Fotograf*in. Der eigene Anteil an dem, was man schafft, ist verschwindend gering verglichen mit der Masse an gemeinsamer Arbeit, die in ihm steckt.
„Try harder“ oder das in manchen Kreisen so beliebte Fragen, „wie sehr man etwas wolle” (oder ob man bloß zu faul für den Erfolg sei): Bedeutet das nicht nur ein Anheizen der Konkurrenz, das besser sein Wollen/Müssen als andere um selbst zum Zug zu kommen, während die, die sich anscheinend nicht so bemühen, auf der Strecke bleiben? (Selbstausbeutung liegt in der Luft.) Und: Wie viele Mittel haben Sie denn überhaupt um sich zu bemühen? 100.000 vom Papa geerbt: Ah, da lässt sich wohl was machen! Oh, kein Erbe: Na, dann strengen Sie sich einmal an! Jung und gesund? In einem reichen Industrieland geboren? Mann oder Frau? Weiß oder schwarz? –
Es scheint mir einfach lächerlich, generell zu sagen: „You can make it”. Offensichtlich haben einige die Macht dazu und andere nicht, und manche können sich bemühen so viel sie wollen, da liegt nichts oder nur sehr wenig in ihrer Hand. Selbst dann, wenn sie hervorragende Bilder machen, also mit Talent gesegnet sind und mit Gelegenheit es zu entfalten.
Wie viele erfolglose Fotograf*innen gibt es wohl pro erfolgreiche*r? Und ist dieser Erfolg (wie auch jeder andere) eben nicht doch ein gemeinschaftlicher, ein gesellschaftlich errungener und mitnichten eine individuelle Leistung? Ebenso Misserfolg?
Ich verstehe schon, dass manche das nicht hören wollen. Sie möchten glauben, Master of the Universe zu sein oder wenigstens Champions der Fotografie zu werden. Dabei habe ich nicht einmal die Frage nach dem freien Willen berührt.
Wir sitzen nicht alle in unserem Boot, dass sich gegen den selben ökonomischen Sturm behaupten muss, wie David duChemin schreibt: Der Sturm ist nicht der selbe beispielsweise in Chile und in Deutschland. Außerdem begegnen ihm manche auf einer Hochseejacht, manche in einem Ruderboot und manche auf einer Luftmatratze. Sollten die Erfolglosen auf der Luftmatratze sich nicht noch viel lauter beklagen? Sollten sie nicht hinausschreien, dass es ein Märchen ist, dass es jede*r schaffen kann? Wir leben nicht in luftleerem Raum; die ökonomischen Bedingungen sind nicht gleich für alle. Wie viele Menschen auf der Welt können sich nicht einmal eine Kamera leisten?
Wenn ich also rausgehe und eine wundervolle Fotografie mache, bin ich dankbar für all die Hilfe, die ich bekommen habe. Und ich weiß – auch wenn ich meine Fotografien signiere –, dass nicht ich die Aufnahme gemacht habe: Wir haben sie gemacht.
Ergänzung 15.2.:
David hat auf meine Einwände reagiert und seinen Blogartikel präzisiert. So sieht das schon etwas anders aus. Lesen Sie die Diskussion hier. (Anmerkung: Link am 5. August ’23 wieder aktualisiert.)
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