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15. Februar 2008

Barrios 23 de Enero & Propatria

Abgelegt in Kategorie: Caracas — Subhash @ 00:44

Wir sitzen ja nicht nur auf Universitaeten und hoeren Vortraege, wir machen auch Exkursionen. Zwei, laut Reisefuehrer, No-go-Viertel haben wir besucht. (Auch die hiesige Standard-Journalistin berichtet davon, wie uns erzaehlt wurde, dass aus diesen Vierteln noch nie Europaeer lebend herausgekommen sind. Nun, dann sind wir die ersten bis auf unseren Fuehrer Dr. Cwik, der allem Anschein nach auch schon frueher einmal hier war. 😉

Die so genannten barrios sind bereits in den spaeten 50er-Jahren entstanden, so weit ich mich erinnere, und sind Heimat fuer Millionen von Venezolanern und Venezolanerinnen. Vor Chávez waren diese Viertel auf Landkarten nicht eingetragen und wurden weitgehend ignoriert, zumindest so lange, so lange es zu keinem Aufstand kam, wie dem beruechtigten Caracazo 1989, bei dem 3.000 bis 4.000 Leute ermordet wurden. Diese Toten kamen zum allergroessten Teil nicht direkt waehrend des Aufstandes um, sondern bei “Saeuberungen” danach.

Im barrio “23 de Enero/La Cañara” besuchten wir eine Art Geme¡ndezentrum, die “Coordinadora Simón Bolívar“, bei dem gerade Lebensmittel (Milchpulver und Gefrierhuehner) ausgegeben wurden. Die Coordinadora Simón Bolívar benutzt ein Gebäude einer ehemaligen Polizeistation der Metropolitana zur Überwachung und Folter. Laut unserer Kontaktperson wurden dort 100 Leute aus dem 23 de Enero ermordet. Im Jahr 2500 wurden die Polizisten von BewohnerInnen der Umgebung vertrieben und das Gemeindezentrum eingerichtet. In diesem Fall hat man sich guetlich geeinigt, und es kam bei dieser Vertreibung zu keinen Toten oder Verletzten.

In diesem Moment spielt das Internetcafé, in dem ich schreibe, John Lennons “Imagine”:

“Imagine no possessions
I wonder if you can
No need for greed or hunger
A brotherhood of man
Imagine all the people
Sharing all the world”

Auf dem ehemaligen Parkplatz der Polizeistation befindet sich nun ein grosses Infocenter mit 124 Computern (Linux-Debian). Es handelt sich um ein Projekt der mision ciencia und zwar um den flächendeckenden Versuch einer elektronischen Alphabetisierung. Das Infocenter ist geöffnet von 8 – 20 Uhr und fuer die Benutzer und Benutzerinnen kostenlos. (Nur das Chaten ist limitiert außer man hat Verwandte im Ausland, und es ist die einzig mögliche Form der Kommunikation.) Der jüngste Benutzer ist 7, der älteste 86 Jahre alt. Naeheres: www.infocentros.gob.ve

Im Haus “Freddy Parra” (Historiker, Angestellter der PdVSA, der Erdölgesellschaft, promovierte mit einer Arbeit über die Möglichkeit privater Anschlüsse ans Gasnetz) finden beispielsweise unter anderem Kurse der Mision Robinson statt (Alphabetisierung), der Mision Ribas (Maturaabschluss) und der Mision PDVAL (Produktion und Vertrieb von Lebensmitteln). Wir konnten kurz mit ein paar Teilnehmern eines Kurses der Mision Robinson sprechen, fuer den die Lehrmaterialien alle aus Cuba stammen. Weiters gibt es Angebote für Salsa, Boxen und ein Fußballteam. Die Behandlung von Haustieren (abgesehen von Impfungen) findet dort kostenlos statt. Im Haus “Freddy Parra” gibt es ausserdem einen Radiosender “El somidu de 23” (“Die Stimme von veintitrés”), der auf FM 94,7 caracasweit sendet. Eine Zeitung mit 10.000 Stück Auflage wird herausgegeben, eine Website betrieben. Die Coordinadora Simón Bolívar ist national und international vernetzt.

Zwei Wohnblocks und eine Bibliothek besuchten wir anschliessend. Ursprünglich waren die 42 kleinen und 55 großen Blöcke des 23 de Enero für etwa 60.000 Personen vorgesehen.

***

Im barrio “Propatria/Catia” hatten wir Gelegenheit einen Funktionaer der neu gegruendeten Sozialistischen Einheitspartei und einen ehemaligen Stadtguerillero zu hoeren. Wir bekamen ein vorzuegliches Pabellon Criollo; nochmals besten Dank an die begabten KoechInnen!

Ein Besuch bei einer medizinischen Versorgungseinrichtung folgte. In diesen Einrichtungen arbeiten noch hauptsaechlich Aerztinnen und Aerzte aus Cuba. Venezuela bezahlt fuer diese Hilfe mit Erdoel. Auch hier folgte wieder eine Begehung eines der grossen Wohnblocks und wir hatten wieder Gelegenheit aufs Dach zu gehen, was fuer Leute mit Hoehenangst, so wie ich, eine gewisse Herausforderung darstellt.

Bilder aus den Barrios findet man hier.

(Zuletzt geändert am 25.10.'10 um 8:51)

Venezuelas Wappen