Dario Azzellini hat seine Dissertation wenig überraschend über Venezuela geschrieben. Sie ist im vergangenen Herbst als Buch mit dem Titel „Partizipation, Arbeiterkontrolle und die Commune: Bewegungen und soziale Transformation am Beispiel Venezuela” erschienen und bringt eine fundierte und gut geschriebene Darstellung der „Bolivarianischen Revolution” in Venezuela. Er spannt dabei zuerst den Bogen eines geschichtlichen Abrisses von den 30er-Jahren, über den pacto de punto fijo bis zum caracazo, dem Hungeraufstand 1989, der eine wichtige Vorbedingung für den Aufstieg von Hugo Chávez war. Natürlich wird sein Versuch der Machtübernahme im Jahr 1992 thematisiert, sein erster großer Wahlerfolg und der Putschversuch gegen ihn und seine Linksregierung im Jahr 2002 beschrieben, der darauf folgende Unternehmerstreik, sowie die weiteren Versuche mit legalen und illegalen Mitteln, den Präsidenten und die linksgerichtete Regierung zu stürzen.
Im zweiten Teil des Buch arbeitet Azzellini den Unterschied zwischen repräsentativer und partizipativer, protagonistischer Demokratie heraus und leitet zum Hauptthema „Soziale Bewegungen und Selbstorganisation” über.
Azzellini beschreibt nach dieser umfangreichen Einführung in die (geschichtlichen) Vorbedingungen in den beiden letzten Teilen die so wichtigen Basisinitiativen, die von Chávez gefördert werden, aber wohl auch ohne ihn existieren würden, wie z.B. die consejos comunales als Einrichtungen nicht-repräsentativer lokaler Selbstverwaltung, die comunas, oder die empresas de producción social. Als Kenner der Szene bietet er interessante Einsichten in die Versuche, nachhaltiges, solidarisches Wirtschaften gegen den neoliberalistischen Mainstream zu betreiben, mit ihren Erfolgen und Fehlschlägen. Zitate aus Interviews mit Philosoph(inn)en, Soziolog(inn)en, Forscher(inne)n und Gewerkschafter(inne)n, Arbeiter(inne)n, Student(inn)en und Aktivist(inn)en von consejos comunales veranschaulichen lebendig seinen Bericht:
Häufig fassen die Intervieten die eigene Veränderung dahingehend zusammen, sie seien »humaner geworden« und durch Wissen persönlich gewachsen, wie J. Avila: »Meine menschliche Sensibilität ist geweckt worden. Ich habe den Zensus von Haus zu Haus mit den Leuten gemacht, die wegen der gefährdeten Wohnlage weg sollten. Und da gab es Häuser, da kam ich heulend heraus gelaufen, nachdem ich das menschliche Elend gesehen habe. […] Mein Leben hat sich verändert, denn ich denke, ich bin sehr gewachsen.«
Ein sehr lesenswertes Buch für alle, die sich inspirieren lassen wollen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen, ernst zu machen mit Demokratie und Selbstbestimmung und Wege zu finden, die die Zwänge des Kapitalismus entschärfen und, wie zu hoffen ist, schließlich hinter sich lassen.