Etwa August war’s im gerade ablaufenden Jahr, da trat Venezuela in meine Welt.
Davor wusste ich nichts von “Klein-Venedig”, wie es von den Konquistatoren wegen seiner Pfahlbauten genannt wurde. Nur einmal vorher hatte ich aufgemerkt, weil da ein Staatspräsident statt mit dem österreichischen Präsidenten – oder war’s der Bundeskanzler – Abend zu essen, sich lieber mit Leuten von der Straße traf und jeder zu dieser Veranstaltung gehen konnte. Das fand ich beachtlich … und ich merkte es mir.
Im August ’07 nahm ich dann die Gelegenheit wahr, zwei Filme über Venezuela und das politische Experiment zu sehen, das sich dort seit 8 Jahren entwickelt. Und ich war fasziniert. Da sind doch tatsächlich Leute dabei sich dem Weg des Neoliberalismus zu verweigern. Die glauben nicht daran, dass es ein Naturgesetz ist, dass Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden, dass der Profit der höchste Wert einer menschlichen Gesellschaft ist. In diesen Filmen waren Menschen zu sehen, die es nicht geil fanden, dass jeder sich selbst der Nächste sein soll. Da war stattdessen von Verantwortung für die Gemeinschaft die Rede, von Gerechtigkeit, von Achtung aufeinander, ja, von Liebe. Darauf hatte ich gewartet all die Jahre, in denen ich keine gelebte, manifeste Alternative sah zu unserer Politik, ausschließlich das Geld zu hoffieren. Dieses Wartens war ich mir nicht bewusst gewesen, aber im Sommer und Herbst 2007 spürte ich förmlich wie die politische Depression verflog.
So kniete ich mich rein in die Venezolanischen öffentlichen Angelegenheiten, las Bücher, recherchierte im Internet, sah noch mehr Filme, besuchte Veranstaltungen und ein Symposium, beschäftigte mich mit der Verfassung der Bolivarianischen Republik Venezuela. Ich war entsetzt gewesen über den Entwurf zur europäischen Verfassung (der Reformvorschlag ist übrigens kaum besser) und dann das: Eine Verfassung, die die Abwahl von Personen in gewählten Ämtern unter der Amtszeit ermöglicht, die Monopole und Patente auf das Genom von Lebewesen verbietet, festschreibt, dass Besitz Verantwortung seinen Mitmenschen gegenüber mit sich bringt! Die die Einnahmen aus den reichen Bodenschätzen nicht mehr nur wenigen Plutokraten zugute kommen lässt, sondern allen: dem Volk. Eine Verfassung, die nicht von ein paar Industriellen und Generälen heimlich ausgeschnapst, sondern breit diskutiert und per Volksentscheid angenommen worden war. Ist ja nicht zu glauben!
Hausarbeit sei etwas, das einen Wert schafft für die Gemeinschaft, ist hier zu lesen – daher haben Hausfrauen das Recht auf Sozialleistungen. Ziel sei es, einen Staat zu schaffen mit teilnehmender Demokratie und zwar ausdrücklich einen multiethnischen und multikulturellen Staat. So wird die alte indigene Medizin nicht nur toleriert, sie wird ausdrücklich in der Verfassung anerkannt. (Und ich warte seit 10 Jahren, dass in Österreich endlich Naturheilpraktiker zugelassen werden.)
Nun ist mir schon klar, dass das Absichtserklärungen sind, Zielvorgaben, und es sehr interessant wäre, zu sehen, wie die Praxis aussieht. Von der Beseitigung des Analphabetismus habe ich gehört, die hat sogar die UNESCO bestätigt. Aber wie sieht’s aus mit der direkten Demokratie, wie funktionieren die Kommunalräte, die Landkooperativen, die besetzten Fabriken, die Selbstorganisation in den barrios, den Armenvierteln? Wie gut ist die medizinische Versorgung wirklich, seit kubanische Ärzte jedes Dorf aufsuchen und sich jede und jeder kostenlos behandeln lassen darf? Und was sagt die mächtige Opposition, die die Massenmedien weitgehend in der Hand hat?
Das möchte ich gerne wissen. Von den großen hiesigen Medien ist nichts zu erwarten, hier findet sich keine Opposition zum Neoliberalismus, dementsprechend oberflächlich und entstellt ist die Berichterstattung über die venezolanische Regierungspolitik und deshalb unternehme ich selbst eine Studienreise um an Ort und Stelle zu sehen, zu hören, zu spüren und zu fühlen. Ich finde es wichtig, dass wir hier in Europa in der meines Erachtens nach sehr verfahrenen politischen Situation endlich wieder Alternativen – vorerst einmal – zu denken, zu träumen und zu hoffen lernen. Ich werde berichten über meine Erfahrungen und viele Fotos machen. Und ich werde diese Berichte und Bilder öffentlich über Internet zugänglich machen, noch von Venezuela aus.
“Mit Venezuela gibt es ein kleines Licht am Ende des Tunnels”, sagt Alfredo Lugo, der Geschäftsträger der Botschaft in Wien. Auch ich sehe da ein lange vermisstes Licht und ich wünsche mir, dass ich es weitergeben kann an viele, die ebenso hungrig und durstig sind wie ich, vielleicht ebenfalls ohne es zu wissen.
Am 8. Februar geht’s los …
Am 6. Februar 2008 um 16:22 Uhr
Lieber Subhash,
ich wünsche Dir für Deine Studienreise alles Gute und viel Erfolg. Werde Deine Berichte weiter verfolgen und bin schon sehr auf Deine Erfahrungen und Eindrücke gespannt.
Komm gsund wieder zrück!
Mario – GEA Kottingbrunn